Interessenausgleich

Ein Interessenausgleich ist eine schriftliche Übereinkunft zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat wegen einer Betriebsänderung. Er kann also nur in Betrieben mit einem Betriebsrat entstehen. Eine Betriebsänderung liegt insbesondere dann vor, wenn der Betrieb oder wesentliche Betriebsteile eingeschränkt oder stillgelegt werden sollen, verlegt werden sollen oder ein Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder eine Spaltung von Betrieben stattfindet. Auch die grundlegende Änderung der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen sowie Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren gilt als eine Betriebsänderung.

Es ist für Arbeitgeber in Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern und einem Betriebsrat zwingende Verpflichtung, den Betriebsrat über eine Betriebsänderung rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die Betriebsänderungen mit dem Betriebsrat zu beraten, wenn wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft die Folge sein könnten.

Ein Interessenausgleich enthält das „Ob, Wann und Wie“ der unternehmerischen Maßnahmen, wie sie in ihrer Gesamtheit die Betriebsänderung ausmachen. Vor allem muss der Interessenausgleich aufzeigen, welcher Kreis von Arbeitnehmern und welche Zahl davon betroffen sind. Welche Veränderungen müssen die Arbeitnehmer bei ihrer täglichen Arbeit und den Arbeitswegen auf sich nehmen ? Es geht um die Beschreibung der Veränderungen in zeitlicher, qualitativer und quantitativer Hinsicht, insbesondere um die Abänderung der Arbeitsabläufe und ihre Auswirkungen auf den Personalbestand. Typischerweise werden in einem Interessenausgleich also Termine für Entlassungen festgelegt sowie die Auswahlrichtlinien für Versetzungen und Entlassungen oder Regelungen zur Umschulung und Qualifizierung. Die ganz besondere Macht der Betriebsräte zeigt sich darin, dass in einem Interessenausgleich auch mit einer Namensliste festgelegt werden kann, welchen Arbeitnehmern als Folge der Betriebsänderung gekündigt werden soll. Das hat für diese betroffenen Arbeitnehmer die unangenehme Folge, dass sie sich gegen diese Kündigung nur unter sehr erschwerten Bedingungen zur Wehr setzen können. Gekündigte Arbeitnehmer, die dazu auf einer Namensliste im Interessenausgleich bestimmt worden sind, müssen im Kündigungsschutzprozess darlegen und beweisen, dass ihre Kündigung nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt war und die soziale Auswahl grob fehlerhaft war; eine oft nicht zu überwindene Hürde.

Allerdings hat die wirtschaftliche Mitbestimmung des Betriebsrates bei Betriebsänderungen eine Grenze. Letztlich unterliegen die Regelungen der freien Unternehmerentscheidung, welche üblicherweise in einem Interessenausgleich aufgenommen werden. Deswegen kann der Betriebsrat den Abschluss eines Interessenausgleichs nicht erzwingen. Allerdings muss ein ernsthafter Versuch seitens des Arbeitgebers vorliegen. Der Arbeitgeber trägt die Initiativlast und muss den Betriebsrat so rechtzeitig beteiligen, dass er ohne Entscheidungszwänge die Folgen der geplanten Betriebsänderung für die Arbeitnehmer übersehen kann und noch auf die Willensbildung des Arbeitgebers Einfluss nehmen kann. Der Betriebsrat ist also umfassend zu unterrichten und ihm müssen die Gründe für die Betriebsänderung und die Alternativen dargelegt werden, über welche das Unternehmen entschieden hat. In den Fällen einer Betriebsänderung kann sich der Arbeitgeber nicht auf die Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gegenüber dem Betriebsrat berufen. Gutachten externer Beratungsunternehmen müssen dem Betriebsrat offengelegt werden. Soweit es zur Begründung der Betriebsänderung auch erforderlich sein sollte, hat der Betriebsrat einen Anspruch auf Einsicht in die letzten Bilanzen und Wirtschaftsprüferberichte. Insgesamt also muss der Arbeitgeber einen sehr intensiven und ernsthaften Versuch gemacht haben, mit dem Betriebsrat einvernehmlich zu einem schriftlichen Interessenausgleich zu kommen. Eine blosse Erörterung mit dem Betriebsrat reicht nicht aus. Ein Einigungsversuch im Verfahren vor einer betrieblichen Einigungsstelle wird im Zweifel erwartet. Kann schliesslich auch dort ein Erfolg nicht erzielt werden, wird von der betrieblichen Einigungsstelle das Scheitern der Verhandlungen festgestellt und das Verfahren beendet. In der Regel wird erst das als ausreichender Versuch des Unternehmers angesehen. Zieht sich der Arbeitgeber vorzeitig zurück, gilt der Interessenausgleich nicht als „versucht“. Sollte der Betriebsrat hingegen die „Versuchsdauer“ bewusst verlängern und das Einigungsstellenverfahren verzögern, kann der Arbeitgeber ausnahmsweise abbrechen; er sollte dieses aber deutlich dokumentieren können, bevor er das Scheitern erklärt.

Es ist eine der umstrittensten Rechtsfragen im Betriebsverfassungsrecht, ob der Betriebsrat einen Anspruch auf Unterlassung der Betriebsänderung hat, wenn er meint, sein Verhandlungsanspruch sei noch nicht ausgeschöpft. Jedenfalls ist die vom Gesetz vorgesehene Sanktion gegen den Arbeitgeber zumindest ein sogenannter Nachteilsausgleich der Arbeitnehmer, falls er ohne ausreichenden Versuch zu einem Interessenausgleich vorgeht und dieses zu Entlassungen oder zu sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen für die betroffenen Arbeitnehmer führt. Den Nachteilsausgleich kann aber nicht der Betriebsrat geltend machen, sondern nur jeder betroffene Arbeitnehmer selbst. Der Arbeitgeber kann auf die Klage der Arbeitnehmer hin zu einer Abfindung verurteilt werden, die mit der Entlassungsabfindung bei Kündigungen vergleichbar ist. Den selben Anspruch haben die Arbeitnehmer, wenn der Unternehmer von einem schon geschlossenen Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund abweicht und auch dieses zu Nachteilen für die Arbeitnehmer führt.

Das Ergänzungsstück zum Interessenausgleich ist der Sozialplan. Bei ihm geht es nicht wie beim Interessenausgleich um die Mitbestimmung im Bereich der eigentlichen unternehmerischen Entscheidungsfreiheit über das harte Ob, Wann und Wie der Betriebsänderung. Die Mitbestimmung per Sozialplan regelt den wirtschaftlichen Ersatz von Nachteilen, die den Arbeitnehmern als Folge der Betriebsänderung entstehen können, vor allem in Form von Abfindungen. Aus einem Sozialplan können die Arbeitnehmer unmittelbar Ansprüche für sich herleiten. Einen Sozialplan kann der Betriebsrat auch über die betriebliche Einigungstelle erzwingen, sofern bestimmte Betriebsgrößen und ein bestimmtes Betriebsalter überschritten werden. Deswegen ist es verhandlungstaktisch taktisch oft so, dass der Betriebsrat den Zwang nutzt, eine Paketlösung sucht und erst nach einer Einigung über einen gut dotierten (!) Sozialplan die Bremsen lockert und einem Interessenausgleich zustimmt. Es genügt auch, dass er dem Arbeitgeber attestiert, dass er den Interessenausgleich hinreichend versucht habe und deswegen mit der Betriebsänderung beginnen könne.