Religiösität und Kündigungsschutz

Darf man Arbeiten aus religiösen Gründen verweigern? Nicht immer, aber manchmal schon, meint das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 24. Februar 2011.

Der Fall:

Eine Ladenhilfe in einem Einzelhandelsmarkt machte geltend, aus religiösen Gründen an der Ausübung vertraglich geschuldeter Arbeiten gehindert zu sein. Es handelte sich um einen gläubigen Moslem. Er war seit 1994 als Mitarbeiter eines großen Warenhauses tätig. Seit dem Jahr 2003 wurde er als Ladenhilfe beschäftigt. Im Februar 2008 weigerte er sich, im Getränkebereich zu arbeiten. Er berief sich auf seinen Glauben, der ihm jegliche Mitwirkung bei der Verbreitung von Alkoholika verbiete. Die Firma kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis.

Die Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht Schl.-Holst. sah die Kündigung als gerechtfertigt an, weil es zu den üblichen Aufgaben im Einzelhandel gehöre, auch mit Alkoholika zu handeln und darauf müsse sich ein Arbeitnehmer einstellen. Das Bundesarbeitsgericht sieht die Sache differenzierter und will, dass mehr auf den Einzelfall eingegangen wird. Es sieht diesen Fall noch nicht als entscheidungsreif an und hat ihn zu weiteren Sachaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Ob die Weigerung des Moslem, in der Getränkeabteilung zu arbeiten, dem Einzelhandelsunternehmen einen Grund zur Kündigung gab, steht demnach noch nicht fest und bedarf der weiteren Sachaufklärung. Den bisherigen Darlegungen des gekündigten Arbeitnehmers lässt sich nicht hinreichend deutlich entnehmen, welche Tätigkeiten genau ihm seine religiöse Überzeugung verbietet. Erst dann kann abschließend beurteilt werden, ob es im Betrieb möglich war, eine andere Arbeit zu übertragen.

Das Bundesarbeitsgericht stellt in diesem Zusammenhang diese Grundsätze auf:

  • Weigert sich ein Arbeitnehmer aus religiösen Gründen, eine Arbeitsaufgabe zu erfüllen, zu der er sich vertraglich verpflichtet hat, kann dies eine Kündigung durch den Arbeitgeber rechtfertigen. Voraussetzung ist, dass keine naheliegenden anderen Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen.
  • Ein als „Ladenhilfe“ in einem Einzelhandelsmarkt beschäftigter Arbeitnehmer muss mit der Zuweisung von Arbeitsaufgaben rechnen, die den Umgang mit Alkoholika erfordern.
  • Will ein Arbeitnehmer Verrichtungen aus religiösen Gründen ablehnen, muss er dem Arbeitgeber mitteilen, worin genau die religiösen Gründe bestehen, und genau aufzeigen, an welchen Tätigkeiten er sich gehindert sieht.
  • Besteht für den Arbeitgeber im Rahmen der von ihm zu bestimmenden Betriebsorganisation die Möglichkeit zu einer anderen vertragsgemäßen Beschäftigung, welche den religionsbedingten Einschränkungen Rechnung trägt, muss er dem Arbeitnehmer diese Tätigkeit zuweisen.

Unser Kommentar:

Grundsätzlich ist den Überlegungen des Bundesarbeitsgerichts zuzustimmen. In einem Betrieb mit vielartigen Beschäftigungsmöglichkeiten kann es einem Arbeitgeber zugemutet werden, einen Arbeitnehmer anderweitig beschäftigen zu müssen, wenn dieser gegen eine bestimmte Einzeltätigkeit religiöse Vorbehalte hat. Es ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit und der Fairness. In vielen Branchen besteht heute ein Multikulti-Arbeitsmarkt und grössere Arbeitgeber sollten sich darauf einstellen können.

Was aber an dem konkreten Fall befremdet ist der Umstand, dass das Bundesarbeitsgericht die Ungenauigkeit der Behauptungen des Arbeitnehmers nach drei Jahren auffliegen lässt und den Fall nochmals zurückverweist. Normalerweise gilt, dass der Arbeitnehmer eine prozessuale Darlegungslast hat. Er muss sehr genau darlegen, welche Arbeiten er aus welchen religiösen Gründen nicht verrichten kann. Pauschale Behauptungen reichen nicht aus. Im vorliegenden Fall scheint es beiden Parteien nicht um Genauigkeit, Ausgewogenheit und Fairness gegangen zu sein, sondern um Prinzipielles. So etwas geht dann zu Lasten desjenigen, der sich auf Ausnahmerechte beruft. Insofern hätte man dem Arbeitnehmer möglicherweise auch sagen können, er habe die Grundsätze seiner Darlegungspflicht verletzt. Am Bundesarbeitsgericht ist es eigentlich viel zu spät, um zu der Erkenntnis zu gelangen, es sei erst einmal darzulegen, welche Tätigkeiten genau die religiöse Überzeugung denn verbietet und erst dann könne abschließend beurteilt werden, ob es im Betrieb möglich war, eine andere Arbeit zu übertragen.

Für die Firma kann der Schaden immens werden. Normalerweise kann man im Einzelhandel Arbeitnehmer auch anderweitig beschäftigen als nur mit dem Vertrieb von Alkoholika. Unterstellt, das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein entscheidet in einem weiteren Jahr, dass die Kündigung wegen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb unwirksam war, muss der Lohn für vier Jahre nachgezahlt werden, falls der Arbeitnehmer keine andere Tätigkeit aufgenommen hatte. Prinzipienreiterei hat seinen Preis; eine faire Kommunikation kommt billiger.

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