Das Trinkgeld gehört der Toilettenfrau.

Der Kunde wird oft getäuscht. 

Das Problem:

Wer einen öffentlich zugänglichen Raum nicht unerheblicher Größe unterhält, hat nach baurechtlichen und gewerberechtlichen Vorschriften eine Toilettenanlage zu unterhalten. Die Kosten trägt der Gewerbetreibende, auch für sein Personal. Der Kunde oder der potentielle Kunde muss für die Nutzung nichts bezahlen.

Trotzdem besteht am Toilettenausgang regelmäßig der kleine weiße Teller. Klingt die Münze, bedankt sich die Reinigungskraft. Der Kunde glaubt mitleidig, er habe ein Trinkgeld, die wohltätige Aufbesserung für diesen minderwertigen Job gespendet. Kein Trinkgeld zu geben ist peinlich. Weit gefehlt! Meistens bekommt der Arbeitgeber das Geld, der die Reinigungskraft in der untersten Lohngruppe vergütet.

Die wirklichen Verhältnisse hat jetzt das Arbeitsgericht Gelsenkirchen in zwei Fällen klargestellt. Das Trinkgeld steht dem Personal zu, wenn der Kunde nicht ausdrücklich auf anderes hingewiesen wird.

Der Fall:

Eine 1955 geborene Toilettenfrau war bei einem Gebäudereinigungsunternehmen in Teilzeit beschäftigt. Überwiegend war ihr die Tätigkeit einer Toilettenaufsicht (sog. „Sitzerin“) ohne unmittelbare Reinigungsaufgaben zugewiesen. Dafür erhielt sie einen Stundenlohn in Höhe von 5,20 EUR brutto.

Ihr Einsatz erfolgte im Einkaufszentrum Centro P, mit dessen Betreiberin das Gebäudereinigungsunternehmen ständig in laufender Vertragsbeziehung steht. Der Firma obliegt die Reinigung der 4 öffentlichen, für die Kunden und Besucher vorgesehenen Toilettenanlagen. In den Sommermonaten 2013 bestand das von ihr im Centro P eingesetzte Team aus insgesamt 12 „Sitzerinnen“ und 8 Reinigungskräften, wobei letztere, den tariflichen Bestimmungen entsprechend, eine Stundenvergütung in Höhe von mindestens 9,00 EUR brutto erhielten.

Das Centro P erhebt von den Kunden/Besuchern für die Nutzung der Toilettenanlagen kein Entgelt. Gleichwohl sind in den Eingangsbereichen der 4 Toilettenanlagen Sammelteller aufgestellt, auf denen die Toilettenbesucher Geld hinterlassen können. Hauptaufgabe der „Sitzerin“ ist es, sich ständig an einem dieser Tische mit dem Sammelteller aufzuhalten, dabei stets einen sauberen weißen Kittel zu tragen, das Geld, welches die Toilettenbesucher freiwillig auf den Teller legen, regelmäßig bis auf wenige Geldstücke abzuräumen, zunächst in ihre Kitteltasche zu stecken und je nach Aufkommen mehrmals je Schicht in einen Tresor einzulegen. Darüber hinaus hat sie die Toilettenanlagen zu kontrollieren und im Bedarfsfall das Reinigungspersonal über Funk zu rufen.

Nach einem schriftlichen Leitfaden für das Personal sind die „Sitzerinnen“ ausdrücklich gehalten, Blickkontakt zu den Besuchern aufzunehmen, die dort als „Trinkgeld“ bezeichneten Geldbeträge – auch in die eigene Hand – dankend entgegen zu nehmen oder bei Bedarf zu wechseln und dabei gegenüber den Besuchern nicht zu offenbaren, dass sie selbst keine Reinigungstätigkeiten ausüben.

Eine „Sitzerin“ machte am Arbeitsgericht Gelsenkirchen geltend, dass sie an den über die Sammelteller im Centro P erzielten Einnahmen teilhaben müsse. Den Besuchern werde zielgerichtet suggeriert, dass freiwillig ein Trinkgeld für das Reinigungs- und Aufsichtspersonal gegeben werde könne. An diese vermeintliche Zweckbestimmung der Benutzer sei die Arbeitgeberin gebunden. Trinkgeld stehe nach Maßgabe gewerbe- und steuerrechtlicher Bestimmungen allein den Arbeitnehmern zu.

Die Arbeitgeberin hielt dagegen: Der Einsatz des Aufsichtspersonals diene dem Wohlbefinden und der Sicherheit der Toilettenbesucher und werde vom Centro P ohne eigene adäquate Gegenleistung geleistet, wofür im Gegenzug die Einnahmemöglichkeit über die Sammelteller eröffnet sei. Die „Sitzerin“ habe stets in dem Wissen gehandelt, dass die vereinnahmten Geldbeträge ausschließlich ihr, der Arbeitgeberin, zufließen sollen. Hauptarbeitsaufgabe sei geradezu die Entgegennahme des Geldes und dessen Weiterleitung gewesen. Genau dafür habe die „Sitzerin“ ihre Vergütung erhalten, die – neben sonstigen Kosten – aus eben diesen Einnahmen bestritten worden sei. Es sei geradezu widersinnig, ein Teil dieser Einnahme jetzt zusätzlich unter dem Gesichtspunkt des Trinkgelds zu beanspruchen.

Bei den Einnahmen handle es sich nach Meinung der Firma zudem – auch nach der Vorstellung der Toilettenbesucher – nicht um ein Trinkgeld im herkömmlichen Sinne, sondern vielmehr um ein freiwilliges Nutzungsentgelt. Das stehe allein der Firma als Reinigungsdienstleisterin zu.

 

Die Entscheidung:

Das Arbeitsgericht Gelsenkirchen urteilte, dass es sich nach der stillschweigenden Zweckbestimmung immer um für das Personal bestimmtes Trinkgeld gehandelt hat.

1. Ein verpflichtendes Nutzungsentgelt bestimmter Höhe wird den Besuchern nicht abverlangt. Deutlich erkennbare Hinweise an die Besucher waren nicht vorhanden, welche einen bestimmten Verwendungszweck der freiwilligen Zahlungen offenlegen und auf eine dementsprechende Willensrichtung der Geber schließen lassen. Der Zweck der Geldleistung war also offenbar nicht ausdrücklich in einer erkennbaren Weise bestimmt.

2. Es besteht kein Erfahrungssatz und auch keine allgemeine Übung dahin, dass bei einer erkennbar kostenlos erbrachten Leistung – hier der Toilettennutzung – die gleichwohl freiwillig hingegebenen Geldbeträge stets dem Arbeitgeber zufließen, der hinter dem vor Ort agierenden Personal steht. Ebenso kann nicht davon ausgegangen werden, dass die freiwillige Zahlung an die Reinigungskräfte trotz kostenloser Inanspruchnahme öffentlich zugänglicher Toilettenanlagen stets mit der Erwartung des Kunden verbunden ist, das Geld diene dem Unterhalt der Anlage.

3. Unter Trinkgeld ist ein Geldbetrag zu verstehen, den ein Dritter dem Arbeitnehmer zusätzlich zu einer dem Arbeitgeber geschuldeten Leistung zahlt. Die Zuwendung eines Trinkgelds ist als eine Art Schenkung zu betrachten. Von einem unmittelbaren Trinkgeld zugunsten der an den Toilettenanlagen eingesetzten Arbeitnehmer muss ausgegangen werden, wenn kein anderes Hinweisschild zu sehen ist.

4. Das bloße Aufstellen der Sammelteller vor den Toilettenanlagen stellt sich als stillschweigende Aufforderung an die Toilettenbesucher zur (schenkungsweisen) Hingabe eines Trinkgelds für die betroffenen Arbeitnehmer dar. Das rund um die „Sitzerin“ und den Sammelteller bewusst erzeugte Gesamtbild ließ im Centro P aus der Sicht eines durchschnittlichen Toilettenbesuchers nur den Rückschluss zu, dass er hier freiwillig ein Geldbetrag spendet, der dem Personal unmittelbar und zusätzlich zum Lohn zufließt.

5. Die Anweisungen im Leitfaden lassen erkennen, dass die Firma es geradezu beabsichtigte, den wahren Verwendungszweck der Gelder gegenüber den Toilettennutzern nicht in allzu offen in Erscheinung treten zu lassen, um die eigene Einnahmesituation günstiger zu gestalten.

6. Die Wahl eines offenen Tellers als Sammelstelle für das Geld unterstellt, wie z. B. auch ein herumgereichter Hut, dass hier kein Zahlungsvorgang vorgesehen ist, sondern eine Zuwendung erbeten wird, anders als etwa bei einer Ladenkasse.  Der von der Reinigungsfirma vorgeschriebene weiße Kittel der „Sitzerinnen“ ordnet die Aufsichtsperson eindeutig dem Kreis des Reinigungspersonals zu.

7. Die ständige Gegenwart einer „Sitzerin“ im Nahbereich des Sammeltellers und die vorgesehene persönliche Ansprache/Begrüßung der Besucher sind sowohl auf die Schaffung einer vermeintlichen Verbindlichkeit gerichtet als auch auf die Herstellung einer logischen Verknüpfung zwischen der vermeintlichen Reinigungsperson und einer „sauberen“ Toilettenanlage. Das ganze wird mit einem sozialen Druck nebst Kontrolle verbunden, sich durch ein Trinkgeld erkenntlich zu zeigen, weil dessen Hingabe sozialtypischen Verhaltensmustern entspricht.

8. Die Weisung, das erhaltene Geld ständig bis auf wenige Münzen von den Tellern zu räumen, diese also quasi leer zu halten, suggeriert dem Besucher, dass es vorliegend um eine geringfügige Aufbesserung eines – nach allgemeiner Meinung schmalen – Lohnes geht, was die Freigiebigkeit erhöht. Das ferner im Leitfaden vorgesehene Einstecken der Münzen in den Kitteltaschen soll den Eindruck erwecken, wird es beobachtet, das Geld fließe direkt den Reinigungskräften zu.

Soweit es mit den Arbeitnehmern vereinbart ist oder sie angewiesen wurden, das Trinkgeld in Gänze abzuliefern, ist dies sittenwidrig und damit rechtsunwirksam. Es ist mit dem allgemeinen Rechts- und Moralempfinden unvereinbar, einerseits von den Nutzern einer unentgeltlichen Leistung um ein Trinkgeld offensiv zu werben und dabei auf die Unterstützung der vermeintlich begünstigten Beschäftigten zurückzugreifen, andererseits diese aber zugleich – für die Geber nicht erkennbar – zur vollständigen Abgabe der Münzen zu verpflichten.

Arbeitsgericht Gelsenkirchen 1 ca 2158/13 und 1 Ca 1603/13

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