Stalking als Kündigungsgrund

Selten geht es ohne eindeutige vorherige Abmahnung.

Beschäftigte, also neben Arbeitnehmern auch freie Mitarbeiter oder Leiharbeitnehmer, haben das Recht, sich bei der zuständigen Stelle des Betriebes, des Unternehmens -oder im öffentlichen Dienst bei ihrer Dienststelle- zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, vom Vorgesetzten oder anderen Beschäftigten oder Dritten (beispielsweise Kunden und Geschäftspartner) diskriminiert fühlen. Sie dürfen wegen ihrer Rasse, oder werden ihrer ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität nicht benachteiligt werden. Der Arbeitgeber hat eine solche Beschwerdestelle zu errichten und zu unterhalten.

Der Fall:

Dem Land Hessen als Arbeitgeber wurde von der zuständigen Beschwerdestellen des Landes im Jahr 2007 mitgeteilt, dass eine Mitarbeiterin sich von einem anderen Verwaltungsangestellten belästigt fühle und weder dienstlich noch privat Kontakt mit ihm wünsche. Daraufhin wurde der Verwaltungsangestellte von seinem Dienstvorgesetzten angewiesen, weder dienstlich noch privat Kontakt mit der Kollegin aufzunehmen und dass dieser Wunsch vorbehaltlos zu respektieren sei. Eine unmittelbare Kontaktaufnahme mit der Mitarbeiterin habe „auf jeden Fall zur Vermeidung arbeitsrechtlicher Konsequenzen zu unterbleiben“.

Im Oktober 2009 wandte sich eine andere, als Leiharbeitnehmerin beschäftigte Mitarbeiterin an das Land und gab an, sie werde vom demselben Mann in unerträglicher Art und Weise belästigt und bedrängt. Nach näherer Befragung der Mitarbeiterin und Anhörung des vermeintlichen Täters  kündigte das Land dessen Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Er habe der Mitarbeiterin gegen deren ausdrücklich erklärten Willen zahlreiche E-Mails geschickt, sie ohne dienstlichen Anlass in ihrem Büro angerufen oder dort aufgesucht und sich wiederholt und zunehmend aufdringlich in ihr Privatleben eingemischt. Um sie zu weiterem privaten Kontakt mit ihm zu bewegen, habe er ihr ua. damit gedroht, er könne dafür sorgen, dass sie keine feste Anstellung beim Land bekomme.

Die Entscheidung:

Das Arbeitsgericht hielt die Kündigung für gerechtfertigt, das Hessische Landesarbeitsgericht nicht. Dagegen wandte sich das Land Hessen an das Bundesarbeitsgericht und hatte Erfolg.

Das Landesarbeitsgericht hat demnach zwar im Ergebnis zutreffend angenommen, der Verwaltungsangestellte sei durch die Mitteilung aus dem Jahr 2007 nicht im Rechtssinne abgemahnt worden. Es fehle mit der Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen nämlich eine ausdrückliche Warnung, im Wiederholungsfall werde man kündigen. Manchmal kann eine Abmahnung aber entbehrlich sein, insbesondere dann, wenn sie erfolglos wäre, weil der Vertragsverstoß des Arbeitnehmers so schwerwiegend ist, dass mit einer Heilung des Vertrauensverhältnisses ohnehin nicht zu rechnen ist. Das hatte das Landesarbeitsgericht nicht ausreichend geprüft, ob angesichts der Warnung nach dem zuvor durchgeführten Beschwerdeverfahren und der übrigen Umstände im zweiten Fall eine Abmahnung entbehrlich war. Ein schwerwiegender Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Nebenpflicht, die Privatsphäre und den deutlichen Wunsch einer Arbeitskollegin zu respektieren und nicht-dienstliche Kontaktaufnahmen mit ihr zu unterlassen, kann grundsätzlich die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Ob es zuvor einer einschlägigen Abmahnung bedarf, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

Das Landesarbeitsgericht hat keine dazu hinreichenden Feststellungen getroffen und muss nacharbeiten. Wir werden weiter berichten.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. April 2012 – 2 AZR 258/11

Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 3. November 2010 – 2 Sa 979/10 –

Ähnliche Beiträge