Gelber Schein schon ab 1. Krankheitstag

Das Bundesarbeitsgericht hat eine alte Streitfrage entschieden.

Im Entgeltfortzahlungsgesetz ist geregelt, dass der Arbeitnehmer seine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen seiner Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer erst am vierten Arbeitstag vorlegen muss, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Tage dauert. Das ist der gesetzliche Regelfall. Früher galt, dass der Arbeitnehmer schon seit Beginn seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, also vom ersten Krankheitstag an, den ärztlichen Nachweis erbringen musste. Die Idee zu der Gesetzesänderung war, bei geringfügigen Kurzerkrankungen auf die Hausapotheke und die Selbstheilungskräfte des Arbeitnehmers zu vertrauen und ihn bei einer Bagatellerkrankung nicht sogleich zum Arztbesuch zu zwingen. Allerdings räumt das Gesetz dem Arbeitgeber das Recht ein, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen.

Es ist in der juristischen Literatur streitig, ob die Forderung des Arbeitgebers, schon früher als nach drei Tagen einen ärztlichen Nachweis zu verlangen, von ihm sachlich begründet werden muss, oder ob ihm das Gesetz dieses Recht ohne weitere Voraussetzungen einräumt. Das Landesarbeitsgericht Köln hat in einem solchen Fall die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, um eine Grundsatzentscheidung herbeizuführen.

Der Fall:

Eine Redakteurin hatte eine Dienstreise beantragt. Nachdem auch ihre nochmalige Anfrage am Tag vor dem beabsichtigten Reisebeginn nochmals abschlägig beschieden wurde, meldete sie sich am nächsten Morgen krank. Daraufhin forderte die Arbeitgeberin die Redakteurin auf, künftig schon ab dem ersten Tag nach einer Krankmeldung ein ärztliches Attest einzuholen und vorzulegen.

Die Redakteurin vertrat die Auffassung, dass das Recht auf vorzeitiges Verlangen der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst dann greifen könne, wenn vorangegangene Erkrankungen einen Missbrauchsverdacht begründen. Außerdem müsse sich die Anweisung des Arbeitgebers an der ansonsten bestehenden betrieblichen Übung, möglicherweise anzuwendenden Tarifverträgen sowie an den allgemeinen Grundsätzen des Arbeitsrechts, besonders den Gleichbehandlungsgrundsatz, messen lassen. Eine derart gravierende Maßnahme, wie die Anweisung an den einzelnen Arbeitnehmer, entgegen dem gesetzlichen Regelfall schon ab dem ersten Krankheitstag einen ärztlichen Nachweis vorzulegen, bringe tiefes Misstrauen gegenüber dem Arbeitnehmer zum Ausdruck. Eine solche Weisung könne nur berechtigt sein, wenn das Verhalten des Arbeitnehmers in der Vergangenheit die Vermutung nahe lege, dass Kurzerkrankungen zur Nichtleistung von Arbeit missbraucht worden seien. Dies sei höchstens dann der Fall, wenn deutliche „Unter-Drei-Tage-Fehlzeiten“ auftreten (z.B. jede zweite Woche, immer montags, immer freitags, immer an Brückentagen, immer zu bestimmten Diensten oder Terminen, bei Suchtkranken etc.). Die Redakteurin konnte auf eine breite juristische Literatur verweisen, welche ähnlicher Auffassung ist.

Das Landesarbeitsgericht Köln vertrat den gegenteiligen Standpunkt. Sofern der Arbeitgeber nicht evident missbräuchlich handle, erlaube ihm das Entgeltfortzahlungsgesetz ohne jede Einschränkung, von seinem Recht Gebrauch zu machen. Die Arbeitgeberin habe in der tags nach der Ablehnung des Dienstreiseantrages aufgetretenen Erkrankung einen hinreichenden Anlass für die spezielle Anweisung sehen dürfen und sie habe deswegen nicht willkürlich gehandelt.

Wegen der Unsicherheit der Rechtslage hat das Landesarbeitsgericht die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Es hat am 14. November 2012 entschieden. Wie in den Vorinstanzen ist man auch höchstrichterlicher Auffassung, das Recht des Arbeitgebers, schon vom ersten Krankheitsrtag an eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitbescheinigung zu verlangen, stehe in seinem ungebundenen Ermessen. Ein begründeter Verdacht sei nicht erforderlich.

 

 

 

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