Alturlaub nach Europarecht

Das Bundesarbeitsgericht hatte das nationale Urlaubsrecht bislang dahingehend ausgelegt, dass der Rest des Jahresurlaubs komplett entfällt und damit auch nicht finanziell abzugelten ist, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des 31.03. des Folgejahres krank war und deshalb seinen Urlaub nicht oder unvollständig antreten konnte. Dieses hält der europäische Gerichtshof für europarechtswidrig. Das Bundesarbeitsgericht hat jetzt seine Rechtsprechung angepasst.

Nach dem deutschen nationalen Urlaubsrecht musste der Urlaub grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Lediglich bei dringenden betrieblichen oder persönlichen Gründen des Arbeitnehmers (Krankheit) konnte der Urlaub ins Folgejahr übertragen werden. Er muss in diesem Fall aber in den ersten drei Monaten des Folgejahres genommen werden. Der Jahresurlaub war nur dann finanziell abzugelten, wenn er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Entlassung) ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden konnte. Der Alturlaub verfiel aber spätestens am 31.3. des Folgejahres wegen Unmöglichkeit sowohl in Natur als auch als finanzielle Abgeltung.

Der EuGH hatte in zwei Vorabentscheidungsverfahren darüber zu entscheiden, wie der in der EU-Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) verankerte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszulegen ist. Arbeitnehmer verlieren demnach ihren Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub – entgegen der deutschen Rechtspraxis – nicht, wenn sie den Urlaub wegen Krankheit nicht antreten konnten. Der nicht genommene Urlaub ist in diesem Fall finanziell abzugelten. Das gilt auch, wenn der Arbeitnehmer während des ganzen Jahres oder eines Teils davon arbeitsunfähig erkrankt war und die Arbeitsunfähigkeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses fortbestanden hat.

Das eine Ausgangsverfahren betraf einen deutschen Fall. Der Kläger dieses Verfahrens war seit 1971 beschäftigt. Er war seit 1995 immer wieder längere Zeit arbeitsunfähig erkrankt. Im Jahr 2004 war er bis Anfang September arbeitsfähig. Anschließend war er fortlaufend bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.09.2005 krankgeschrieben. Mit seiner Klage verlangte er von seinem Arbeitgeber die Abgeltung des in den Jahren 2004 und 2005 nicht genommenen Jahresurlaubs.

Das deutsche Arbeitsgericht wies die Klage ab, weil nach den Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes und der hierzu ergangenen Rechtsprechung der Anspruch des Arbeitnehmers auf Abgeltung des nicht genommenen Urlaubs am Ende des Kalenderjahrs aber spätestens am Ende des ersten Quartals des Folgejahres verfällt. Das gilt auch, wenn der Arbeitnehmer – wie hier – bis zum Ende des Übertragungszeitraums aus 2004 und bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses überhaupt arbeitsunfähig gewesen sei und deshalb keinen Urlaub in Natur habe nehmen können.

Auf die Berufung des Klägers setzte das zuständige Landesarbeitsgericht das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die deutsche Rechtspraxis mit der Arbeitszeitrichtlinie vereinbar ist. Der EuGH verneinte dies.

Es stellt demnach einen Verstoß gegen den in der EU-Arbeitszeitrichtlinie verankerten Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub dar, wenn der Anspruch erlischt, weil der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben war und er deshalb seinen Urlaubsanspruch nicht ausüben konnte. Das gilt auch, wenn die Arbeitsunfähigkeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses fortgedauert hat. In diesen Fällen ist der nicht genommene Urlaub abzugelten.

Die Urlaubsabgeltung ist in der Weise zu berechnen, als hätte der Arbeitnehmer diesen Anspruch während der Dauer seines Arbeitsverhältnisses ausgeübt. Maßgeblich ist daher das gewöhnliche Arbeitsentgelt, das dem Arbeitnehmer während des Jahresurlaubs weitergezahlt worden wäre.

In seiner Entscheidung vom 9. März 2009 hat der neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts die nationale Rechtsprechung den europäischen Vorgaben angepasst. Seit der Veröffentlichung der vorstehenden Entscheidungen des europäischen Gerichtshofs vom 20.01.2009 besteht kein schutzwürdiges Interesse mehr in die alte Rechtslage. Gesetzliche Alturlaubsansprüche, die bis dahin noch nicht verfallen waren müssen trotz andauernder krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit abgegolten werden.

Kommentar:

Wichtig ist, dass sich die vorbezeichnete Rechtsprechung nur auf den gesetzlichen Mindesturlaub von 24 Werktagen bezieht! Wird vertraglich oder tarifvertraglich mehr Urlaub gewährt, ist die Rechtslage wegen der weiteren Urlaubstage noch unklar. Deswegen raten wir dazu, weiterhin bei „Mehrurlaub“ von der alten nationalen Verfallsregelung auszugehen, sodass keine Abgeltung für nicht genommenen Urlaub aus dem Vorjahr beansprucht werden kann, spätestens wenn der 31.03 des Folgejahres überschritten ist.

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